Aus der globalen Perspektive, und sicherlich aus der britischen, wird die Formel 1 immer der König des Motorsports bleiben. Britische Fahrer gewannen mit Stand vom August 2018 insgesamt siebzehn Weltmeisterschaftstitel – liegen somit fünf vor Deutschland – und teilen sich ihre Titel dabei auf nicht weniger als zehn verschiedene Weltmeister-Fahrer auf.
Keine weitere Nation war bislang in der Lage, mehr als drei Champions hervorzubringen, sodass diese Statistik eine lange Zeit Bestand haben wird.
F1 Rennen waren schon immer große werbewirksame Events, doch das hielt den Sport nicht davon ab, sich ständig weiterzuentwickeln. Jetzt, in den Zeiten von DRS-Zonen und futuristischem HUD im Cockpit, hat der einst in der F1 benötigte Überlebensinstinkt den Weg geräumt für die heute notwendigen technischen Fähigkeiten.
Das Rennen wird scheinbar schon lange bevor die ersten Autos auf die Strecke fahren entschieden, während die üblichen Verdächtigen wie Ferrari und Mercedes stets die Favoriten für das Erreichen des Podiums sind.
Für all jene, die Spannung und Unberechenbarkeit schätzen, wird die Lebensdauer der Formel 1 immer kürzer werden, insbesondere wenn die Dominanz der F1 durch Mercedes weiter anhalten sollte und demnach Alternativen herhalten müssen.
Auch wenn GT-, Touring- und Stock-Car-Rennen gewöhnlich mehr in puncto Überraschungen bieten, werden die weniger stromlinienförmigen Geschichten im Hintergrund stets ein Hindernis auf dem Weg zu einem größeren Publikum an den TV-Geräten sein.
Andere Veranstaltungen wie Langstreckenrennen und WRC Events setzen wohl am meisten auf die Individualität, bleiben jedoch eher Nischenereignisse. Die Aufmerksamkeit all derjenigen, die sich von F1-Rennen zunehmend gelangweilt fühlen, sich aber dennoch nach PS-starker Unterhaltung sehnen, könnte deshalb von Autos zu Motorrädern führen.
Wird die F1 „entthront“?
MotoGP ist fraglos das Pendant der F1 in der Motorradrennwelt. Viele von der Formel 1 genutzte Strecken werden dank des MotoGP Kalenders doppelt befahren und im Gegensatz zur F1 können Fahrer durch den leichtesten Fehler vom ‚Thron‘ stürzen.
Auch wenn es in der MotoGP genau wie in der F1 auch Favoriten gibt, wird der Faktor Vorhersehbarkeit durch diesen recht offensichtlichen Unterschied maßgeblich reduziert.
Für alle diejenigen, die gute Stories mögen – vor allem solche mit einem jungen Fahrer und seinem hautnah nachvollziehbaren Aufstieg an die Spitze – bietet die MotoGP einen größeren Realitätssinn, auch unterhalb der Königsklasse des Sports. Während die Formel-Klassen mittlerweile größere Anstrengungen unternehmen, die F2 und GP3 Events mit Glamour auszustatten, bleiben Zweifel hinsichtlich ihrer Relevanz in der F1. Im Formel-Betrieb gibt es scheinbar nur Fahrer, die entweder das „gewisse Etwas“ haben, oder eben nicht – und während Institutionen wie die Ferrari Driving Academy viel Einfluss besitzen, wenn es um die richtige Talentförderung geht, besteht ein allgemeiner Konsens darüber, dass nur diejenigen, die bereits als beste geboren wurden, es am Ende an die Spitze schaffen.
Im Moto-Sport finden Moto3 und Moto2 Rennen am Morgen sowie frühen Nachmittag vor dem MotoGP Event selbst statt. Das Teilen des Fahrerlagers mit den besten Fahrern der Welt ist eine inspirierende Erfahrung, welche die eines Junior-Formel-Fahrers vor dem Bildschirm in den Schatten stellt.
Auch wenn drei Moto-Rennen von der Dauer her ungefähr einem F1 Rennen entsprechen, da nur eine Stunde Pause zwischen sämtliche Events gelegt wurde, verlangt das Erlebnis den Zuschauern dennoch einiges mehr an Geduld ab und dadurch automatisch ein größeres Engagement und Begeisterung.
Das schreckt unter Umständen diejenigen Zuschauer ab, denen es schwer fällt, am Fernseher dranzubleiben – stellt aber doch die Intensität und immersive Qualität des Sports unter Beweis.
Rossi – Ikone und Quälgeist
Um ein echtes globales Phänomen zu werden, dass der F1 nahekommt, muss es Jahr für Jahr echte Titelanwärter geben, die nicht aus Italien oder Spanien kommen. Während das 21. Jahrhundert bereits Zeuge von nicht-europäischen Titelträgern wurde, haben sich zwei große Rivalen zusammengetan, um dies möglichst zu verhindern – meist erfolgreich.
In den 2000er Jahren war Valentino Rossi der Michael Schumacher der MotoGP, holte sich Titel um Titel, und wurde zudem zum ersten Fahrer, der Titel in vier verschiedenen CC-Klassen einfahren konnte.
Wenn die 2000er Rossi gehörten, ist Erzrivale und Spanier Marc Marquez zweifellos der Mann der 2010er Jahre. Er wird von Rossi-Fans als Thronräuber angesehen und da Marquez sich in den WM-Titelkämpfen neben Jorge Lorenzo, der als Favorit in den September ging, langsam aber sicher hocharbeitete, ist Spanien mittlerweile definitiv die Macht der MotoGP.
Für die britischen Zuschauer gab es nur wenige Gründe, auf die MotoGP zu blicken, ehe am 21. August 2016 sowohl John McPhee als auch Cal Crutchlow in Brünn in Moto3 und MotoGP ganz oben auf dem Podium standen.
Crutchlows Triumph beendete mehr als drei Jahrzehnte Erfolglosigkeit für britische MotoGP-Fahrer und selbst wenn es nur wenig Einfluss auf das Titelrennen besaß, wird es als ein wichtiger Tag des Sports angesehen werden, falls dieser in Großbritannien jemals auf eine Stufe mit der F1 gelangen sollte.
Celebrity-Faktor und Zugänglichkeit als Schlüssel zum Erfolg
Selbst wenn Zuschauerzahlen stets etwas Raum für Manipulation und Fehlinterpretation lassen, besteht ein zunehmender Eindruck, dass die Zuschauerzahlen der F1 seit einigen Jahren sinken, während MotoGP weiterhin wächst.
Trotzdem muss MotoGP ihre Fahrer besser vermarkten, um von der vermeintlichen „Machtverschiebung“ zu profitieren, die viele objektive Rennsportfans ausgemacht haben wollen.
Die harte Wahrheit ist, dass jeder sofort ein Bild von Lewis Hamilton erkennen kann. Wer jedoch ein Bild von Cal Crutchlow vorgelegt bekommt und kein eingefleischter MotoGP Fan ist, würde es eher mit einem Kratzen am Kopf und fragenden Blicken quittieren.
Die für einen größeren kommerziellen Erfolg notwendigen Charaktere sind in der MotoGP durchaus vorhanden, wie es auch das öffentliche Interesse an den Fernsehschirmen ist. Alles, was nun benötigt wird, ist ein kraftvoller Katalysator in den Massenmedien, um sie richtig zu vermarkten.
Jeder möchte sich auf der obersten Stufe des Siegertreppchens mit Champagner abduschen, nachdem er an glamourösen Orten wie Monaco oder Monza heldenhaft aus dem Cockpit klettert. Aber wenn ein Mann aus einem so unscheinbaren Ort wie Stevenage immer wieder in genau solchen Szenen gezeigt wird, ist die Begeisterung der Fans mit einer Vorliebe für den magischen Märchen-Faktor – erstmals gesehen nach dem Titelgewinn 2008 –, automatisch eindringlicher und langanhaltender.
Eine verpasste Chance in Großbritannien
Solche Erfolgsgeschichten sind es, die die MotoGP Befürworter rund um die Welt exzellent nutzen könnten, um die Fahrer ihrer jeweiligen Länder erst ihrem nationalen Publikum näherzubringen, um die Bekanntheit dann je nach Erfolg und Talent ausweiten zu können.
Großbritannien ist hier keine Ausnahme, doch die Uhr läuft nach dem ersten Gefühl von Magie nach Crutchlows Überraschungssieg 2016 langsam ab.
Crutchlow stammt aus Coventry, einer vom nahe gelegenen Birmingham in den Schatten gestellten Arbeiterstadt, die nach dem Zweiten Weltkrieg im wahrsten Sinne des Wortes aus der Asche auferstanden ist. Die Stadt brachte einen Mann hervor, der einen 35 Jahre währenden Fluch gebrochen hat, obwohl seine Maschine wenig konkurrenzfähig daherkam und er allein durch seine Geschicklichkeit und List auf der Strecke triumphieren konnte.
Doch die Gelegenheit, genau dieses Narrativ dazu auszunutzen, um ihn auf den gleichen erhabenen Status wie Hamilton zu heben – der damals gerade seinen WM-Titel an Nico Rosberg verlor – kam und ging, ohne sich wirklich bemerkbar zu machen.
Es ist genau diese Art der sympathischen Underdog-Story, welche die britischen Befürworter der MotoGP projizieren müssen, um den Geschmack des Publikums zu treffen, wenn in der Zukunft eine Art Gleichstand mit der Formel 1 erreicht werden soll.
Während Pokale ein offensichtlicher Faktor zur Schaffung von Helden in jeder Sportart sind, können auch die Geschichten über ihre Hintergründe sowie ihre Leistungen für ihre Mannschaft der richtige Rohstoff für ganz große Legenden sein.